Wofür die neue Wagenknecht-Partei steht
Nun ist es Gewissheit: Sahra Wagenknecht gründet ihre eigene Partei. Am Montag wurde in Berlin das Manifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ vorgestellt. Der Name ist Programm. Dennoch ist bei der neuen politischen Kraft inhaltlich einiges noch nicht festgelegt.

Published : 2 years ago by in Politics
Nun ist es Gewissheit: Sahra Wagenknecht gründet ihre eigene Partei. Am Montag wurde in Berlin das Manifest des "Bündnis Sahra Wagenknecht" vorgestellt. Der Name ist Programm. Dennoch ist bei der neuen politischen Kraft inhaltlich einiges noch nicht festgelegt.
Sie hat es getan. Endlich, würden viele sagen – selbst manche ihrer Gegner. Mit der Verkündung der Gründung des Vereins "Bündnis " (BSW) macht die Ex-Linken-Politikerin Ernst mit einer eigenen Partei, die im Januar 2024 offiziell kommen soll. Der Name der neuen politischen Kraft legt jedoch bereits jetzt ein Problem offen. Sie steht und fällt mit nur einer einzigen Person: Sahra Wagenknecht.
Doch wofür genau steht die neue Partei?
Das steht im Gründungsmanifest des BSW
Aufschluss gibt ein Blick in das Gründungsmanifest, das bei der Vorstellung von BSW am Montag in Berlin präsentiert wurde. Neben Wagenknecht waren unter anderem auch die (noch) Linken-Fraktionsvorsitzende sowie der Unternehmer Ralph Suikat anwesend. Der Text ist in die Punkte "Wirtschaftliche Vernunft", "Gerechtigkeit" und "Frieden" unterteilt. Das klingt bereits sehr nach dem politischen Sound Sahra Wagenknechts.
Die Politikerin selbst hat sich in der Vergangenheit häufig inhaltlich positioniert: in Reden, Interviews und Büchern, wie zuletzt in ihrem Bestseller "Die Selbstgerechten" von 2021. Ihre Ideen dominieren das Manifest des "Bündnis Sahra Wagenknecht". Absolut deckungsgleich zu den Positionen seiner Namensgeberin ist das Programm der neuen Partei aber nicht.
Wie positioniert sich die Wagenknecht-Partei in der politischen Landschaft?
Viele Menschen fühlten sich "durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten", heißt es in dem Gründungsmanifest von BSW. Das ist auch ein unmissverständlicher Seitenhieb gegen die Partei "Die Linke", der Sahra Wagenknecht sowie neun weitere Bundestagsabgeordnete, die die Seiten gewechselt haben, bis Montagmorgen noch angehört haben.
In "Die Selbstgerechten" schreibt Wagenknecht: "Links, das stand einmal für das Streben nach mehr Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit." Ihrer alten Partei spricht sie jedoch ab, noch vollumfänglich für diese Werte zu stehen. Vielmehr sei diese immer mehr ins Lager der "Lifestylelinken" gewechselt, die sich nicht mehr für die Geringverdiener, sondern vor allem für ein großstädtisches, gut gebildetes Milieu einsetze. Die "linksliberale" Partei schlechthin ist für Wagenknecht jedoch Bündnis 90/Die Grüne. Vergangenes Jahr ging sie sogar so weit, die Grünen als "die gefährlichste Partei im Bundestag" zu bezeichnen.
Was auffällt: Besonders stark grenzt sich Wagenknecht zu anderen linken Parteien ab. Fragt man sie zu ihrer Haltung zur AfD, wählt sie ihre Worte meist mit mehr Bedacht. Der Grund liegt auf der Hand: Umfragen zeigen, dass eine Wagenknecht-Partei besonders unter AfD-Anhänger Zuspruch erfährt. Der Linken-Vorsitzende vermutet daher auch, dass sich Wagenknecht und ihre Partei "deutlich rechts" der Linkspartei positionieren werden. Die einstmals als "rote Sahra" bekannte Politikerin bezeichnete ihre Positionen dagegen als "linkskonservativ".
Für welche Wirtschaftspolitik steht die Wagenknecht-Partei?
Sahra Wagenknecht ist längst keine Kommunistin mehr. Auch den Bruch mit der Idee einer komplett staatlich gelenkten Wirtschaft, wie sie in der DDR vorherrschte, hat sie schon vor vielen Jahren vollzogen. Bei der BSW-Vorstellung am Montag benannte Wagenknecht den Erhalt der ökonomischen Stärke Deutschlands nun als "erstes und wichtigstes" Ziel.
"Wir brauchen wieder mehr Zukunftstechnologien made in Germany, mehr hidden champions und nicht weniger." Das ist kein Satz aus dem FDP-Grundsatzprogramm, sondern stammt aus dem Manifest des "Bündnis Sahra Wagenknecht". Die neue Partei will in der Wirtschaft auf Innovation und Wettbewerb setzen. Da enden aber auch schon die Parallelen zu den Liberalen.
Denn anders als die FDP fordert die Wagenknecht-Partei "massive Investitionen" in Bildung, Infrastruktur und Verwaltung. Wie diese finanziert werden sollen, bleibt weitgehend offen. Nur von einem "gerechten Steuersystem" ist die Rede. Zudem wolle man "Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten", wie es weiter heißt. Kapitalismus ja, aber bitte in geordneten Bahnen: So könnte man die BSW-Position zusammenfassen.
In "Die Selbstgerechten" ging Wagenknecht teilweise noch deutlich weiter. So forderte sie "eine vernünftige De-Globalisierung unserer Wirtschaft und eine radikale De-Globalisierung der Finanzmärkte". Mit der Idee von "Degrowth", einer Schrumpfung der Wirtschaft zur Bekämpfung des Klimawandels, hat das jedoch nichts gemein. Wagenknecht ist überzeugt, dass auch Industrienationen weiter Wirtschaftswachstum brauchen.
Im Falle von Deutschland soll das auch (wieder) mithilfe russischen Erdgases geschehen. Ginge es nach Wagenknecht, würde der Importstopp des günstigen Energieträgers sofort aufgehoben – nicht nur im Sinne der deutschen Wirtschaft, sondern auch der Klimapolitik. Gas sei immer noch besser als Kohle, so Wagenknechts Kalkül. Eine Haltung, mit der sie im umweltbewussten Lager nur wenig Anhänger gewinnen dürfte. Aber auf die hat es Wagenknecht mit ihrer neuen Partei ohnehin nicht abgesehen.
Welche Sozial- und Migrationspolitik wird eine Wagenknecht-Partei verfolgen?
Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" steht für eine deutlich linke Sozialpolitik. Deutschland brauche "einen zuverlässigen Sozialstaat" und einen "hohen Grad an sozialer Sicherheit". Über ein anderes Steuersystem soll dafür auch Wohlstand von den Reichen zu den weniger Wohlhabenden umverteilt werden. Wie gut situiert jemand hierzulande ist, hänge "vor allem vom sozialen Status der Eltern ab", wird in dem Manifest konstatiert. Deswegen will BSW das deutsche Bildungssystem gerechter machen: Einheitlichere Lehrpläne, kleinere Klassen und eine längere gemeinsame Beschulung aller Kinder zählen zu den Forderungen der neuen Partei.
Zum Thema Migration schweigt sich das BSW-Manifest weitgehend aus. Gut möglich, dass man verhindern will, in der derzeit aufgeheizten Migrationsdebatte potenzielle Wähler vor den Kopf zu stoßen. Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Bündnisses musste sich Wagenknecht auf Nachfrage dennoch positionieren: Es sei klar, dass "unkontrollierte Zuwanderung auf jeden Fall gestoppt werden muss". Gleichzeitig müsse das Recht auf Asyl weiter gelten, so Wagenknecht.
In "Die Selbstgerechten" schlägt Wagenknecht deutlich schärfere Töne an. "Was von vielen Linksliberalen als Multikulturalität schöngeredet wird, ist in Wahrheit das Scheitern von Integration", schreibt sie dort. Wagenknecht ist überzeugt: Einen funktionierenden Sozialstaat kann es nur geben, wenn nicht zu viele Menschen neu dazukommen. Migration verschärfe die Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und sei daher für Geringverdiener vor allem von Nachteil, so Wagenknecht. Auch in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen zeigt sich die Politikerin skeptisch: Besser wäre diesen mit der Unterstützung von Hilfsorganisationen vor Ort gedient.
Wie steht die Wagenknecht-Partei zur EU, zur Nato und zu Russland?
Im Kapitel "Frieden" des BSW-Manifests heißt es: "Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab." Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Zwar wird der Ukraine-Krieg nicht explizit genannt, dennoch ist klar: Genau wie Wagenknecht selbst lehnt auch das neue Bündnis die eindeutige Positionierung Deutschlands und des Westens gegen Russland ab.
Europa benötige "eine stabile Sicherheitsarchitektur, die längerfristig auch Russland einschließen sollte", heißt es weiter. Der Nato lastet man dagegen völkerrechtswidrige Kriege an. Zudem würden sich die Interessen der USA erheblich von denen Deutschlands unterscheiden. Daraus wird deutlich, dass die Wagenknecht-Partei für eine weitgehende Abkehr von der bisherigen geopolitischen Sicherheitsarchitektur Deutschlands steht.
Auch die EU muss sich laut Manifest verändern. "Unser Ziel ist ein eigenständiges Europa souveräner Demokratien", steht darin. Soll vor allem heißen: nicht mehr, sondern weniger EU. In "Die Selbstgerechten" spricht Wagenknecht von dem Staatenbund als einem antidemokratischen "Elitenprojekt". Es seien die Konzerne und die Reichen, nicht die einfachen Bürger, die von diesem profitierten. Für Wagenknecht gibt es derzeit nur einen politischen Akteur, der insbesondere in Krisenzeiten wirklich handlungsfähig ist: der Nationalstaat.
Was bei der Wagenknecht-Partei noch offen ist
Im BSW-Manifest findet sich keine Aussage, die so nicht auch von Wagenknecht selbst hätte stammen können. Ohne Zweifel war sie federführend bei der Formulierung des Textes. Der Name "Bündnis Sahra Wagenknecht" ist daher nicht einfach der Bekanntheit der beliebten Politikerin geschuldet, sondern stellt auch eine klare inhaltliche Positionierung dar.
Es gibt jedoch einige Punkte, bei denen das Manifest deutlich zurückhaltender wirkt, als es die Namensgeberin der neuen Partei für gewöhnlich tut: Insbesondere gilt das in Bezug auf Kritik an den anderen Parteien sowie beim Thema Migration. Das dürfte vor allem strategischen Überlegungen geschuldet sein. BSW will sowohl im rechten als auch im linken Wählermilieu anschlussfähig bleiben. Zudem hat man Spitzen gegen die Linkspartei erst einmal nicht mehr nötig – der Bruch ist definitiv vollzogen.
Insgesamt hält der Name "Bündnis Sahra Wagenknecht", was er verspricht. Dabei gibt es im Manifest genug Spielraum, um künftig Akzentverschiebungen zu ermöglichen. Ob, wie und von wem dieser genutzt wird, muss sich noch zeigen. Im Juni 2024 will BSW zur Europawahl antreten. Die Erfahrungen mit vergangenen Partei-Neugründungen zeigen: Acht Monate können eine lange Zeit sein.